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Von Lucie F. W.

 

 

Traum von Amsterdam

 

 

Erlebnisbericht Amsterdam-Marathon am 16.10.2011 – Das Motto des „Lauftreff Bliesgau“:

 


Schon im Vorfeld war klar:

Das wird der Marathon aller Marathons! Wenn nicht der, dann wird kein weiterer mehr gut!

Warum? Die Vorbereitung war gut – ja sogar mehr als ausreichend und ist auch prima „gelaufen“, wie man als Läufer so schön denkt. Und dann das Wichtigste: die letzten beiden Wochen keine Anstrengung mehr, meine „Physio-Tante“ macht mir am Montag ein „großes Yang“, was viel Energie bringt und freitags vor dem Marathon noch „Akkupunktur-Nadeln“ (großes Yang- viel Energie!). Am Freitag-Abend Rindfleischsuppe mit der gesamten Läufer-Truppe → das bringt Kraft. Dann auch noch die Erkenntnis und Bekanntgabe unserer tollen Köchin und Gastgeberin: der Mond wird am Sonntag mit uns sein!!!

Also, wir haben Energie, Kraft und Mond!! Nun ist eines schon mal klar: „Theoretisch kann nichts mehr schief gehen!“
 

 

 


Dann geht es los. Samstag 6.00 Uhr aus dem Haus auf dem Weg nach Amsterdam. Alles wird erledigt, was zu erledigen ist am Anreisetag: Einchecken – Startnummern abholen - gemeinsames Essen in bescheidener Idylle und dann ab in die Kiste!!

Der Tag der Tage ist angebrochen! Aber was ist das? Eine Frau hat genau das am Tag der Tage, was sie jetzt überhaupt nicht gebrauchen kann!! Und mit welcher Kraft und Energie!! Oh Mond – wie bescheuert hast Du denn gestanden? Und dann auch noch diese Kopfschmerzen....

Jetzt heißt es handeln: Gegen die Kopfschmerzen schnell die heiße 7. Schüssler Salze mit heißem Wasser, das muss doch wirken! Tabletten vor einem Marathon? No go!

Na ja, und der Rest muss eben laufen... (wieder diese Assoziationen)

Leicht nervös mache ich mich mit unseren Marathonis auf den Weg zum Stadion, welches Start- und Zielpunkt ist. Es ist s..kalt – aber meinen Kopfschmerzen tut das gut. Die Zeit vergeht rasend, schnell noch mal die Toilette aufsuchen und schon geht’s zum Start. Aufgeregt und halb erfroren hüpfe ich hin und her – auf und ab. Gott sei Dank ist Heinz bei mir. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Wir warten – noch zehn Minuten; hüpfen – warten – hüpfen – warten.

Dann der Startschuss. Es geht recht flott. Super, mein Läufer-Lieblingslied aus den Lautsprecher-Boxen. Schlagzeug-Rhythmen – das heizt an.

Ein Film beginnt sich abzuspulen: Läufer, Gebäude, Menschen am Straßenrand. Hin und wieder Musik – überall Beton. Um mich herum stehen viereckige Gebäude – abwechselnd in rot, braun oder grau. Die Menschen sind irgendwie teilnahmslos – wenige klatschen, niemand ruft oder feuert an. Komisch, denke ich – Berlin war da anders.

Aber mir geht’s gut! Heinz ist immer noch bei mir. Meine Kopfschmerzen sind zu ertragen – wir laufen endlich. Die Beine sind voll Energie, Kraft und Mondeinfluss. Vielleicht laufen sie deshalb so schnell – vielleicht auch zu schnell?

Egal! So lange die Beine tragen... es wird gelaufen. Im Rucksack sind zwei Liter Wasser, Riegel, Power-Balls, warme Kleidung für später und last but not least: mein I-Pod! Für alle Fälle – es könnte ja mal ruhig sein – vielleicht an der langen Strecke um die Amstel?

Ich höre meinen I-Pod ständig. Mann, ist das ruhig an der Strecke! Aber ich habe Musik- ätsch!

Dann schon nach kurzer Zeit, etwa bei Kilometer 6: Fahnen!!! Es ist nicht zu glauben, aber es gab tatsächlich nur eine einzige Gruppe über die komplette Strecke am Straßenrand mit Fahnen!!! Es ist herrlich – unglaublich schön: Unsere Winker – Oberwinker – Mitwinker vom Lauftreff Bliesgau!

Das Herz schlägt am Hals vor Freude – die Winker tun mir gut. Wir jubeln einander zu – logisch, alles ist noch frisch und voll Energie, Kraft und Mond. Wir sind schnell unterwegs, der Heinz und ich. Dieser Straßenabschnitt hat einen Wendepunkt und wir laufen die gleiche Strecke auf der anderen Straßenseite zurück. Das macht Spaß, denn die komplette Gruppe trifft sich in der Mitte der Strecke und kann sich zuwinken. Alle sind noch frohen Mutes. Die Kopfschmerzen sind Nebensache geworden, wir laufen schnell weiter zurück zu unseren Winkern, schon von Weitem die Fahnen sehend. Dann die gut gemeinte Stimme unseres Präsis: Hey – Ihr läuft zu schnell!

Quatsch, denke ich noch. Die Beine haben Kraft – Energie – Mond!

Für meinen Mitstreiter ist das Tempo dann doch etwas heftig. Er besinnt sich auf die Ratschläge unseres Chefs und holt Tempo raus. Also, alleine weiter! Kurze Zeit später kommt die Strecke, vor der mir vorher etwas mulmig war. Der lange Arm der Amstel hin und zurück. Das hatte auf der Strecken-Beschreibung sehr abschreckend ausgesehen. Aber was war das? Wasser, Grünfläche, schöne Wohnhäuser – alles sieht sehr ansehnlich aus. Viel besser als das Zentrum – „Super- wie Urlaub“, denke ich und genieße diesen Teilabschnitt. Zwischendrin habe ich immer ausreichend getrunken und gegessen – es soll mir schließlich weiterhin gut gehen.

Ich genieße die Aussicht – die ferne Aussicht und auch die Nahe. Die Läufer um mich herum sehen auch gut aus, also weiter – und nicht langsamer werden! Meine Durchschnittszeit liegt bei knapp unter 5:20 min pro Kilometer. Das ist das Ziel- dafür habe ich trainiert. Noch immer bin ich voll Kraft – Energie und Mond. Mir geht es noch gut, ich klatsche die Hände der Kinder ab, die am Straßenrand stehen und denke an meine eigenen Kinder, von denen ich doch weiß, dass sie mir alle kräftig die Daumen drücken. Es geht langsam zurück in die Innenstadt. Das Publikum wird mehr und auch wacher. Es gibt hin und wieder Musik am Straßenrand und auch auf der Alster hatten sich auf Booten einige Live-Sänger bemerkbar gemacht. Für meinen Geschmack ist gute Musik etwas anderes. Lediglich zwei- oder dreimal gibt es einen guten DJ mit lauter Musik an der Strecke und immer dann, wenn es wieder einmal leise wird, höre ich meine eigene Musik. Das spornt an! „Don´t stop me now“ singt Freddie Mercury aus meinem Rucksack und ich denke: “Genau! O.k. – alles klar“ und laufe weiter Richtung Kilometer 25.

Kurze Zeit später, etwa bei Kilometer 26 sehe ich wieder unsere Fahnen- yippieh!! Hoffentlich sehe ich die Winker später nochmals, das war alles, was ich wissen wollte. Irgendwie waren die Winker jetzt zum Dreh- und Angelpunkt für mich geworden. Einfach von Station zu Station durchhalten. Von nun an wird es schwer - ich weiß, jetzt beginnt der spannende Abschnitt. „Wo ist Heinz?“, rufen mir die Winker noch zu und schon bin ich wieder vorbei – don´t stop me now!

Ich nähere mich der 30-Kilometer- Marke. Ständig getrunken und gegessen bin ich doch guter Hoffnung, einfach alles gut durchzustehen – meine Zeit ist Super! O.k., ich merke die Beine. Ja, ich werde müde. Ich weiß genau, was ich dem Mann mit dem Hammer sagen werde. Ich halte es wie im Lied der Gruppe „Oku and the Reggae-Rockers“, welches lautet: Weitergehen, ich will weitergehen – ich bleibe nicht stehen, ich bleibe nicht stehen! Langsam summe ich diesen Refrain und weiß, so schaff´ ich das.

Plötzlich – wie aus heiterem Himmel bekomme ich Schmerzen in den Unterleib. Ich habe das Gefühl, ich hätte „Wehen“! (…nach vier Geburten weiß ich, wovon ich rede)
SCH….!! Was ist das?

Dann hört es wieder auf und ich kann mich wieder aufrichten. Wieder singe ich: „Weitergehen, ich werd weitergehen, ich bleibe nicht stehen…..“

Langsamer laufe ich weiter – aber ich laufe. Etwa einen Kilometer später (oder auch schon früher?) krampft in beiden Beinen der Oberschenkelmuskel in der Innenseite. Muskel dicht – Sense aus!!
Ich stehe, japse nach Luft und bohre mit beiden Händen tief in beide Oberschenkel in die schmerzenden Stellen, um die Muskel zu massieren. Au Backe, tut das weh! Aufhören Schmerz!! Hier schalten sich dann doch die Leute am Straßenrand ein und rufen immer wieder „Go Lucie- go!! Langsam laufe ich wieder weiter- das soll doch helfen!! Ich gehe und versuche kurze Zeit später wieder anzulaufen – Muskel zu! Verdammt nochmal…. Ist das ein Mist! Jetzt überlege ich – während ich unaufhaltsam beide Oberschenkel-Muskel massiere, ob ich aufhören soll oder weitergehe. Dann werde ich stinksauer! Und wenn es noch drei Stunden dauert – ich gehe in dieses Ziel! Basta!

Zum zweiten Mal versuche ich nach leichten Gehversuchen wieder ins Joggen zu kommen, aber no chance! Nichts geht mehr …. Die Zeit habe ich abgeschrieben, aber ich will durch dieses Ziel laufen, egal wie lange es dauert. Immer weiter massiere ich die Oberschenkel. Die Holländer werden auch immer herzlicher. Mitfühlende Menschen sehen mir ins Gesicht und feuern mich unaufhaltsam an. Dann die rettende Stimme aus dem Hintergrund: Bernd und Heribert holen mich ein und wollen mich mitziehen – aber ich kann eben immer noch nicht gehen. Bernd greift in seine Tasche und gibt mir eine kleine Tablette. „Hier nimm das – Salze von einem Freund – völlig unbedenklich.“ Ohne eine Sekunde nachzudenken nehme ich diese Lutschtablette und stecke sie in den Mund. „Danke noch“, denke ich, aber die beiden sind längst verschwunden. Langsam gehe ich weiter. Nach etwa fünf Minuten wird mein Gang wieder rund. Ich wage wieder erste Gehversuche, ganz vorsichtig und langsam. Ja! Es geht!! Ich bin überglücklich. In ganz langsamen und lockeren Schritten schreite ich voran. Jetzt nicht schneller werden – so komme ich doch weiter.

Kurze Zeit später sehe ich unseren „Oberwinker“. Fast wären mir die Tränen gekommen, ich war so froh die Fahnen wieder zu sehen. Dann gab es für mich aufmunternde Worte (er ist nicht umsonst unser Oberwinker) und ich laufe weiter. Die Gefühle in meinen Oberschenkel sind in Worte nicht zu beschreiben – einfach alles hart. Irgendwann denke ich, wie toll das ist – so ganz ohne Zeitdruck und Hast zu laufen. Ich betrachte mir die Gegend und die Menschen – ich spüre von außerhalb Energie und Kraft! Wie schön, denke ich noch – das macht ja viel mehr Spaß! Dann irgendwann kommt das 40-Kilometer-Tor. Ich weiß, bald habe ich es geschafft! Schmerzen weg – Freude bis zum Hals!

Die letzen Kilometer vergehen wie im Flug – ich schaff das jetzt, das ist mir bewusst! Dann das Stadion. Vom Gefühl überwältigt meine ich fast, die letzten Meter abzuheben. Am liebsten hätte ich laut gelacht oder vor Freude geschrien! Ich bin fast geplatzt vor Glück! Ziel durchlaufen – geschafft! Wow!

Tja – mein persönliches Ziel habe ich nicht erreicht, wollte ich doch meine bisherige Zeit von 3 Stunden 55 Minuten überbieten. Aber eines ist mir im Ziel klar geworden: „Scheiß auf die Zeit!!!“

Am Ende zählt nur, dass ich durchgekommen bin. Und es geht mir (verglichen zum ersten Marathon) erstaunlich gut. Das ist wichtig – und das Glücksgefühl ist gigantisch, egal ob unter oder über 4 Stunden.

So bringt wahrscheinlich jeder Marathon seine Eigenarten mit sich, ganz egal wie viel Energie, Kraft und Mond man vorher getankt hat. Denn Erstens kommt es anders und Zweitens als man denkt.

Alle sind gut durchs Ziel gekommen – das ist das Wichtigste – und das haben wir gefeiert!

Somit ist eines klar: für mich war es der

TRAUM VON AMSTERDAM !!!

Lucie F.-W.
 

Bild: Königin Lucie mit King Heri

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